Ausblicke

Was tut man eigentlich, wenn man in München wohnt, ein paar Tage Urlaub hat, für diesen aber keine größeren Aktionen oder gar Fernreisen geplant hat? Man kann sich bei eher suboptimalem Wetter zunächst natürlich für drei Tage mit all den Dingen beschäftigen, die in den letzten Jahren liegen geblieben sind oder auf „wenn ich mal Zeit habe“ verschoben wurden. Wenn man dann aber doch mal raus will, wird’s fast schon etwas kompliziert. Nicht, weil es nichts zu entdecken gäbe, sondern da die recht massive Präsenz von potentiellen Zielen in unmittelbarer Nähre schon eher in den Bereich „Auswahlüberforderung“ fällt. 

„Fahr zum Walchensee! Der schönstes See der Welt. Herzogstand per Lift oder zu Fuß. Oder auf den Jochberg. Für Details morgen mehr…“ schrieb eine quasi mit der hiesigen Bergwelt verheiratete Freundin mir auf die Frage, welches von einigen nominierten Zielen sie mir für einen Tagesausflug denn ans Herz legen würde.

Gute Idee. An die ich mich noch ein ganzes Weilchen erinnern werde. Denn erstens ist’s dort wirklich ganz wunderbar und zweitens habe ich mir dabei einen Muskelkater der Kategorie „gemeiner geht’s kaum“ zugezogen. Aber daran bin ich selbst schuld und hätte es eigentlich vorhersehen müssen. Aber da der Herr sich ja dank seines durchaus präsenten Sportprogramms für einigermaßen fit hält, musste er es ja unbedingt übertreiben und hernach bereuen.

Dabei begann die ganze Geschichte eigentlich relativ harmlos. Von München aus ist man in rund einer Stunde mit dem Auto am See, was ihn zu einem der beliebtesten Ausflugsziele der Großstädter macht. Um wenigstens dem Wochenendansturm zu entgehen, hatte ich mir für den Ausflug einen Montag ausgesucht, in der Hoffnung, dass es dort nicht allzu überlaufen sein würde, zumal die Schulferien in den meisten Bundesländern ja schon vorbei sind. Der Erfolg dieser Maßnahme erwies sich als maximal bedingt nennenswert, offenbar haben noch immer ausreichend viele Menschen frei und nichts besseres zu tun, als die Berg- und Seewelt genießen zu wollen.

Mitbekommen habe ich das allerdings erst, als ich mein Auto in Walchensee abgestellt hatte, mich mit der Seilbahn zur Bergstation transportieren ließ und von dort den restlichen Aufstieg zum Herzogenstand in Angriff nehmen wollte. Der Fußweg zum Gipfel nimmt je nach Tempo eine halbe oder dreiviertel Stunde in Anspruch und ist verhältnismäßig gut erschlossen. Eine Wegmarkierung erwies sich recht schnell als komplett überflüssig – es genügt völlig, sich lemmingartig in die Masse einzureihen und einfach dem Bandwurm der Ausflügler zu folgen. Man könnte sich natürlich auch vor der unterhalb des Gipfels gelegenen Hütte postieren und einfach mal zuschauen, was da so alles an einem vorbeikommt – man kommt aus dem Kopfschütteln kaum mehr heraus. Dazu später mehr.

Eigentlich hatte sich mein Plan, ein bisschen meditativ vor mich hinzuwandern und einfach die Seele baumeln zu lassen, bereits nach zehn Minuten erledigt, Montag hin oder her. Der Hindernislauf um im Schneckentempo bergan trottende Senioren, übergewichtige Turschuhträger mit Dampflok-Atmung und nörgelnde Kinder erwies sich als höchst anstrengend und führte dazu, dass ich höchst dankbar die erste mögliche Abzweigung zum Martinskopf genommen habe, einem etwas unterhalb des Herzogstands (1731m) liegenden und mit 1675 Metern etwas niedrigeren zweiten Gipfel. Der scheint die Menschen weit weniger zu interessieren und es war plötzlich möglich, mal wirklich fünf Minuten am Stück zu marschieren, ohne ausweichen oder anhalten zu müssen. Sehr angenehm. Aber eben leider auch nur etwas zwischenzeitliche Erholung, denn letztlich wollte ich den Herzogstand schon „mitnehmen“.  

Ich hätte das bleiben lassen sollen. Einfach ein andermal wieder herkommen. An einem Mittwoch im Oktober vielleicht. Aber was beschwere ich mich – ich möchte nicht wissen, was hier an Wochenenden los ist. Und außerdem hatte ich während des Wegs vom Martinskopf zum Herzogstand die Gelegenheit, mir in Ruhe anzusehen, wie gewandet und ausgerüstet man heutzutage ins Gebirge geht. Offenbar geht der Trend eindeutig zu Sandaletten oder Ballerinas und Röhrenjeans, eine Kombination, die ja bekanntlich seit Jahrhunderten empfohlen wird, wenn man über Geröll und durch recht unwegsames Gelände spaziert. Sneaker werden auch gerne genommen. Jacken kann man dafür getrost daheim lassen, schließlich ist es Ende August auf 1700 Metern ja weder windig noch kühl. Ganz wichtig: Den Hund (Pudel, Dackel und kleineres Getier) mitnehmen! Unbedingt. Am Besten sicherheitshalber den Berg hoch tragen, nicht, dass der sich irgendwie weh tut. Und auf alle Fälle Wanderstöcke einstecken, egal ob man weiß, wie man diese benutzt oder nicht.

Ich bin mir nach wie vor nicht sicher, ob ich das alles nun unfassbar dämlich oder doch einfach nur belustigend finden soll. Natürlich gibt es ausreichend viele Menschen, die sinnvoll ausgerüstet bergan oder bergab klettern (strenggenommen ist es natürlich die Mehrheit), aber ich möchte nicht wissen, wie oft die Bergwacht jemanden retten muss, weil er dachte, so eine Wanderung durch die Berge wäre mit einem Spaziergang am See zu vergleichen. Himmel!

Für den Rückweg habe ich mich dann für den Fußweg entschieden – eineinhalb Stunden über einen recht wilden und sehr schönen Wanderweg zurück nach Walchensee. Der war dann durchaus eine Entschädigung für den großen Andrang oben am Berg. Und durchaus anstrengend. Hätte ich es mal andersherum gehalten – hoch zu Fuß und runter mit der Bahn, dann wären mir vier Tage sehr gemeiner Muskelkater in den Oberschenkeln und Knien vermutlich erspart geblieben. Nun ist es ja nicht so, dass ich nicht wüsste, dass „bergab“ für den Körper immer wesentlich stressiger ist als „berghoch“ – und dennoch mache ich das regelmäßig falsch. Rund tausend Höhenmeter aufwärts klingt halt einfach schlimmer als abwärts, besonders dann, wenn eine Seilbahn lockt. Und unmittelbar nach der Wanderung scheint ja auch immer alles in Ordnung zu sein. Bis zum anderen Morgen. Wenn also jemand einen Trip auf den Herzogstand samt Wanderung plant: wandert hoch, egal wie hoch der Berg aussieht! 

Der Rest des Ausflugs ist schnell beschrieben: Gemütlich Kaffe am See, den Surfern zusehen, ein Bisschen was Essen, einen kurzen Blick in das Wikingerdorf „Flake“, das als Überbleibsel von Bully Herbig’s „Wickie“-Verfilmung in Teilen noch in Walchensee steht und dann ab gen Heimat. Muskelkater hin, Andrang her: Sie hat sich definitiv gelohnt, die Fahrt an den Walchensee!