Weltmeister – im Rumnörgeln

Ach, was hätte das alles schön sein können. Weltmeister! Deutschland im Autokorso-Freudenrausch. Himmelhochjauchzend, Sommermärchen, schwarz-rot-goldene Euphorie. Jubelnde Menschen allenthalben, freundliche Gesichter, spontane Verbrüderungen in den U-Bahnen, kollektive Übernächtigung. Friede, Freude, Eierkuchen. Schland!

Und dann das: Erdreisten sich ein paar dieser frisch erkorenen Volksvorbilder doch in aller Öffentlichkeit den unterlegenen Gegner zu verhöhnen! Durch diesen widerlichen, ekligen Goucho-Tanz!

Sofort wird bei der sich intellektuell weit vorne sehenden Weltverbessererelite der Getretene-Hunde-Reflex ausgelöst. Wie so oft. Da haben wir die Welt gerade  mühsam davon überzeugt, dass doch nicht alle Einwohner dieses Landes böse Nazis sind und dann das! Ob SPIEGEL oder TAZ (die, soviel Ausgewogenheit muss sein, das Ganze dann wenigstens doch noch irgendwo entspannter sieht), die Journallie und die fleißig kommentierende Leserschaft sind empört! Der schöne WM-Titel – entwertet! Nationale Schande! Dieser Sieg ist nichts mehr wert, unerträglich arrogant sind wir. Mal wieder, war ja klar. Da nimmt es schon fast Wunder, dass nicht auch die EMMA in das kollektive Geheule mit einstimmt, schließlich waren es doch mal wieder ein paar Männer, die uns in der Weltöffentlichkeit blamiert haben.

Haben die eigentlich alle einen Knall? Was ist eigentlich mit „den Deutschen“ los, dass so etwas umgehend eine staatstragende Angelegenheit wird? Talkshowdiskussionsthema? Wieviel Minderwertigkeitskomplex und Schamreflex hat man diesem Volk eigentlich anerzogen? Wieviel Wunsch, es immer allen Recht zu machen? Bloß nicht anecken, bitte nicht den bösen Deutschen geben! Nicht noch mehr Schuld aufhäufen, davon tragen wir doch sowieso schon genug mit uns herum, jetzt mal so rein historisch betrachtet.

Könnten wir bitte mal bei den Realitäten bleiben und -weil’s so schön passt- den Ball flach halten? Wir reden nicht von Entgleisungen eines Bundespräsidenten in einer Rede vor der UNO oder von irgendwelchen vielbeachteten Wirtschaftsgrößen. Nicht von Ernstzunehmendem oder gar Wichtigem. Nein, da kamen einfach nur ein paar reichlich restalkoholisierte, kaum der Pubertät entwachsene Spätjugendliche von einem siebenwöchigen, höchst erfolgreichen Arbeitsausflug zurück, im Gepäck das Sehnsuchtsobjekt aller Fußballfreunde und all derer, die in den letzten paar Tagen zu solchen geworden sind. Und lassen ihr Hirn ausgeschaltet. Kann man es ihnen verdenken?

Aber anstatt das genau so zu betrachten und sich einfach mal nur zwei verdammte Tage lang vorbehaltlos zu freuen, scheint der deutsche Michl eine ungemeine Befriedigung darin zu finden, sofort etwas Schlechtes suchen zu müssen. Irgend etwas. Es muss doch ein Haar in der Suppe geben, mit dessen Hilfe man uns wieder auf das rechte Maß zurückstutzen kann. Und zum Glück haben sich eine Handvoll der Spieler auch sofort (empfunden) danebenbenommen. Wussten sie’s doch, die Gutmenschen: wir sind einfach peinlich! Jawoll! Löcher müssten wir uns graben und uns schamvoll hineinsetzen! Mal wieder blamiert, vor der ganzen Welt!

Warum werden bei uns (und machen wir uns nichts vor: dieses Verhaltensmuster haben wir Deutschen weltweit ziemlich exklusiv) solcherlei Dinge eigentlich immer so furchtbar aufgeblasen? Dass hier jeden Tag weitaus grenzwertigere und rassistischere Dinge passieren – egal. Dass solcherlei Spott in anderen Ländern vollkommen normal ist und mehr oder minder zum sportlichen Alltag gehört – auch wurscht. Woanders ist ja nicht hier. Wenn das in Deutschland passiert, ist das ganz, ganz schlimm.

Ich möchte kotzen. Es macht einfach keinen Spaß, wenn bei jedem per se schönen Ereignis sofort irgendwelche Mahner auf der Matte stehen, die unbedingt ihr altkluges Schämt-euch-Genörgel loswerden müsen. Könnten wir bitte, bitte diesen verdammten Reflex endlich mal ablegen?

He, Besserwisser und Weltversöhner: Von mir aus denkt euch euren Teil, fühlt euch moralisch überlegen und schämt euch für alle empfundene Dummheit der Welt und insbesondere der „dieses“ Volkes. Aber haltet bitte einfach ein mal die Klappe! Nur ein einziges mal.

Danke!

 

PS: Dass das bei der EM 2008 auch schon so ablief, zeigt Stefan Niggemeier wunderbar in seinem Blog. Das Überfliegen der vielen Kommentare lohnt sich (meistens). Da stecken sie also, die Menschen, die ihr Hirn vor dem Posten einschalten. In den Kommentaren bei SPIEGEL Online oder den Äquivalenten findet man diese Gattung Mensch ja schon lange nicht mehr…

  1 comment for “Weltmeister – im Rumnörgeln

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